Altwied aktuell
Da läuft man entspannt vom Parkplatz zum Markt, hat noch die sanfte Musik des Autoradios im Ohr, trällert den letzten Refrain – als man um die Ecke biegt und im Mittelalter steht. Merkwürdige Klänge schallen einem da entgegen, erzeugt von seltsam gekleideten Gestalten auf exotischen Instrumenten. Wie würden Sie die Musik des Mittelalters beschreiben? "Tja, klingt etwas quäkig, und die Trommel ist ziemlich laut!"- "Das da sieht aus wie ein zu groß gewachsener Angelhaken- wieso kommen da Töne Raus?". Was sind das für Gestalten, was für ein Musikempfinden?
Zunächst einmal: Das Grammophon wurde erst im 19. Jahrhundert erfunden- wer Musik hören wollte, mußte sie selbst machen oder von Musikern machen lassen .Somit war die Musik immer etwas besonderes, und durch das Fehlen der allgegenwärtigen Supermarktberieselung, der wir heute ausgesetzt sind, hatte eine Melodie viel größere Überlebenschancen im Ohr des Zuhörers. Die Musikanten lernten ich Repertoire allein durch Zuhören denn eine geeignete Notenschrift, wie wir sie heute kennen, wurde erst spät im Mittelalter entwickelt. Die Quellen, die uns heute noch aus dem Mittelalter zur Verfügung stehen, sind deshalb leider nicht besonders reichlich.
Über die Instrumente erfahren wir viel aus Bildern. Die überdimensionalen Angelhaken mit dem typischen Klang sind übrigens Krummhörner, wahrscheinlich die mittelalterlichen Blasinstrumente, die man heute am häufigsten antrifft. Die Krümmung wurde recht aufwendig durch Biegen unter Dampf erzielt, erfüllt aber keinen akustischen Zweck. Vielleicht konnte man das Instrument so besser um die Schulter hängen. Der leicht quäkende Klang, den man auch bei anderen Instrumenten findet, wird durch ein (doppel-) Rohrblatt erzielt. Es sitzt im Inneren der oben aufgesetzten Windkapsel, und hat keinen direkten Lippenkontakt (im Gegensatz zu modernen Instrumenten wie Klarinette oder Saxophon).
Auch der Dudelsack ist so ein Holzblasinstrument. Zusätzlich zu der Melodiepfeife verfügt er über sogenannte Bordunen, also Begleitpfeifen, die einen konstanten Ton abgeben. Deswegen, und auch wegen seiner Lautstärke, war er in der Musikszene des Mittelalters sehr beliebt.
Das Pendant zum Dudelsack ist die Drehleier, auch sie ist neben den Melodiesaiten mit Bordunen ausgestattet.
Die Melodieinstrument, und hierbei besonders die Blasinstrumente, hatten meist einen recht kleinen Tonumfang, der nur wenig über eine Oktave hinausging; entsprechend waren auch die Melodien angelegt. Aber was an Tönen fehlte, wurde durch Rhythmus wettgemacht. So sind Trommeln und Schlaginstrumente aller Art sehr wichtig, und jeder Spielmann, der auf sich hält, trägt Glöckchen an Fuß oder Arm, was gar lustig anzusehen und anzuhören ist – aber: so ein lustiges Leben führten die Spielleute gar nicht. Die Seßhaften haben ja schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zu den fahrenden Sängern, Gauklern und Vaganten. Zum einen fasziniert durch die Musik und Gaukelei und interessiert an den Nachrichten aus der fremden Welt außerhalb des eigenen, kleinen Horizonts, zum anderen aber mißtrauisch, was am nächsten Tage alles fehlen würde – Hab und Gut, die Ehre der Tochter, gar die Tochter selbst? Und die Herrschenden sahen in dem fahrendenVolk potentielle Aufwiegler – denn nur dumme Untertanen sind gute Untertanen, je enger der Horizont desto besser und jeder soll da bleiben, wo er hingehört, wo blieben wir denn sonst?
So kam es, dass Spielleute im ersten Morgengrauen schon aus der Stadt verschwunden sei mußten, oder gar schon bei Sonnenuntergang. Zum Teil blieb sogar der, der einen Spielmann erschlug, praktisch straffrei – und dabei durften sich die Spielleute noch nicht einmal wehrhaft machen! Und die lustigen Glöckchen waren ebenso wie auffällige Kleidung zunächst nur eine Kenntlichmachung zu der die Vaganten verpflichtet wurden solange sie in den Mauern weilten. Harte Zeiten also, aber wie man zu wissen glaubt, sind Künstler ja am kreativsten, wenn sie leiden. Und an Kreativität bestand wohl kein Mangel, Improvisation und reiches Ausschmücken der Melodien war ein Merkmal der mittelalterlichen Musik. Viele der (wenigen) überlieferten Noten sind sehr rythmische Tänze. Man kann sich gut vorstellen, wie ich die Musikanten und die wirbelnden Tänzer immer schneller und wilder und die Melodien immer kühner ausgeschmückt wurden.
Abseits dieser weltlichen Ausgelassenheit wurde aber noch eine ganz andere Musik gepflegt. In den Klöstern und Kirchen war der gregorianische Gesang verbreitet – eine einstimmige Melodielinie, mit der Bibeltexte rezitiert wurden, natürlich auf Latein. Benannt ist diese Musikform nach Papst Gregorius I. (p590-604), der sich angeblich zum Ziel gesetzt hatte, dass die gesamte Christenheit dieselben Lieder singen sollte und zu diesem Zwecke mit den Worten "Warum soll der Teufel die ganzen guten Lieder haben?" Boten aussandte, Sammlungen anzulegen.
Der heutige gregorianische Gesang erfuhr allerdings noch deutlich Änderungen, besonders durch die Franken, die um 800 die Melodien an ihr eigenes Musikempfinden anpaßten. Auch auf Latein, aber nicht ganz so heilig, waren die Lieder der fahrenden Scholaren, wie sie etwa in der Carmina Burana überliefert sind. Hier findet man in schönstem Vulgärlatein Lieder aus de vollen Leben, über den Wein die liebe und alles was dazu gehört. Die Akzeptanz der Nationalsprachen in der höheren, will sagen aufgeschriebenen Kunst setzt erst später im Mittelalter ein.
Dies ist dann die Zeit, in der die Troubadoure durch die Lande zogen und auch die Minne gepflegt wurde. Auch wenn die Entwicklung der Polyphnie schon im neunten Jahrhundert mit der Einführung des Kontrapunktes und unabhängiger Begleitstimmen beginnt, so entstehen regelrechte Kompositionen für mehrstimmige Instrumentalbesetzungen mit dem Gefühl für Harmonie als fortschreitendem Zusammenklang gleichwertiger Stimmen erst mit dem Übergang zur Renaissance im ausklingenden Mittelalter.
Der Spielmann, wie man ihn auch heute oft auf mittelalterlichen Märkten findet, bevorzugt aber die einfachen , rythmischen Melodien, mit einer einfachen Begleitstimme oder "Bordunen". Das Bein soll zur Tanzfläche getrieben werden – denn wenn auch die Freude der Zuhörer der schönste Lohn des Musikanten ist, so kann er davon doch nicht leben. So ihr denn also auf dem Markte Spielleute begegnet, so seied ihres schweren Loses eingedenkt und gebet reichlich Handgeklapper als auch Taler.
(Quelle: Stephan Lentz)
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